ZaunköniG                            Und dennoch: Sonette

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* 1972

 

I.

 

Ich bin dir’n Kuckucksheimer, Mondscheingänger

Zwar schön der Schein, doch bieder und banal

Ein Wortartist auf ödem Areal

Sieh den naiven Honigseimer strenger!

 

Ein kleiner Ellenhieb – kolateral

Man kann die Vorurteile strapazieren

hernach noch Poesie zu produzieren

Als sei der Reim nur Klang – translingual.

 

Die Vielfalt folgt aus freiem Kombinieren

Hohl klingts, wie im Wald ein Hallalie gellt.

Nun – manches Rätsel bleibt dir halt versiegelt.

Du darfst dir jede Zeile variieren

 

wenn du die Freiheit suchst, die andre hätten:

Dies ist nur eins von möglichen Sonetten-

 

 

II.

 

Ein armer Büttelreimer, Knittelsänger

mindertalentiert und marginal

Mir ist der Wein schon spritzig, dir Sekt schal

Ein Weltenschöpfer oder Weltverdränger?

 

Ein Getue ist um diesen Gral

Der Kritiker hat nicht viel zu verlieren

Wenn Künstler eitel vor dir kokettieren

Die Mystik zeigt sich auch in Maß und Zahl

 

Willst du bei Göttern und Genies gastieren?

Kein Pegasus ist dir gezäumt, gestriegelt

Dein Wortwerk sei, was deine Seele spiegelt

Mögen andre Formen erodieren

 

Mag sich auch manch andrer weicher betten

Ich bleibe weiterhin bei den Sonetten.

 

 

III.

 

Ja, lach nur, nenn mich einen Grillenfänger

Der Reim beengt, Sonette allemal

Dein Nörgeln naserümpfend und nasal

Wenn ich nur Traum- und Nebelfrauen schwänger

 

Vielleicht ist deine Phantasie zu schmal

Gut läßt sich das Fanal paraphrasieren

Magst du mein Geklapper kommentieren

Was bleibt: Der Wortschatz ist dein Kapital

 

Soll ich jede Parodie parieren?

Dein Wort sei immer nagelneu geniegelt

Dein Wort sei weltenstürmend aufgewiegelt

Sieh wie „moderne“ Dichter patinieren!

 

Verbindlich ist mir, was manch andrem Ketten

Ich vermisse gar nichts in Sonetten.

 

 

IV.

 

Ein Vers ist dir zu eng, ein Reim noch enger

Der Ideale Vers bleibt fiktional

Ich hänge dir zu fest am Manual

Ein Musen in die Maße Untermenger

 

Die Kunst soll frei sein, ein Korsett ist Qual

Du sollst dein’ Argwohn gern artikulieren

Allerdings: Die Moden alternieren

Die Möglichkeiten bleiben optional.

 

Man kann sich freilich anders profilieren

In kalte Argumente eingeigelt.

Und doch: Der Höhner lästert, kichert, gniegelt

Ich laß dich andre Worte ventilieren

 

Es bleibt Versuch den Wellenschlag zu glätten

Sag du’s in Prosa, ich sags in Sonetten

 

 

V.

 

Du willst die Avantgarde, die Formensprenger

Die Regel ist nicht göttlich, noch feudal

Das Urteil lautet: nichtig und fatal.

Ein Deut- und Deutung-in-Gedichte-Dränger

 

Reim und Rhythmus faßt du rational.

Ein Gleichklang kling dir wie egalisieren.

Du darft dein Standart-Beispiel gern zitieren

Doch Beliebigkeit ist mir egal

 

Verachte das formale ziselieren

Dein Wort ist mir zu glatt, genau, geschniegelt.

Wie deine Prosa Sprache roh entsiegelt

Wie Worte ohne Formen korrodieren.

 

Verteil Du weiter deine Etiketten

Nichts spricht gegens Dichten in Sonetten.

 

 

VI.

 

Die Botschaft richte sich nach dem Empfänger

Das Maß begründet sich nicht klerikal

Nenn mich heutzutage anormal

Ein In-Halluzinationen-Hänger

 

Das klingt fast überzeugend, fast kausal

Du siehst wie die Konzepte konkurrieren.

Man kann statt Reimen auch alliterieren

Beherrscht du Haiku oder Madrigal?

 

Du sollst nicht deine Mängel projezieren

Den Standpunkt seh ich ehern aufgeziegelt

Raum und Räume bleiben dir verriegelt

Wir werden uns in Klauberein verlieren

 

Wir spiegeln uns in anderen Facetten

Was wäre dir nicht sagbar in Sonetten?

 

 

VII.

 

Wir brauchen dies Sonett-Korsett nicht länger

Die Wahrheit preist du nüchtern und neutral

Der Dichter sei nicht so sentimental

Die Sprachneuschöpfer, Mundartler und Slanger

 

revolutionieren radital

Du mußt dich für Gereimtes nicht genieren

Man muß die Kunst nicht künstlich komplizieren

Erneurung ist ein altes Ritual

 

Lang läßt sich über Form philosophieren

Ein Reim dem Tropf, die Dichtung eingetiegelt

Manches Tor wird dir so nie entriegelt

Es reicht nicht Widerspruch zu provozieren

 

Es stolpert sich so leicht in Pirouetten

Die Königsdisziplin: Schreib in Sonetten!

 

 

VIII.

 

Ob Klangklabauter oder Versverfänger

Ob Meisterschüler oder Original

Was bleibt, die Jagd nach euinem Ideal

Nenn mich Bastelbarde, Knobelklänger

 

Die Form hat unerschöpftes Potential

Mitunter läßt sich Kunst auch korumpieren

Ein starres Muster so zu malträtieren

Der Inhalt sei mal Ernst, mal trivial

 

Lassen wir uns resümieren

Ich hör wie die Kritik vor Ironie gällt

Und mein Sonett liegt vor dir kleinpartikelt

Mit zehn Versionen darfst du frei jonglieren

 

Es ist ein spiel mit streitaxt und Floretten

Es sagst sich was du willst auch in Sonetten

 

 

IX.

 

Ein Wort-mit-Flitter-und-Effekt-Verhänger

Du spreizt dein ganzes Schmähwort-Arsenal

Kritik kommt kräftig und fundamental

Die Avantgarde verpaßt, die Stürmer, Dränger

 

Die Stimme hebt sich festlich und sakral

Der Lästrer sieht den Reimer rumlavieren

Versuch, die Verse zu verifizieren.

Die Idee’n sind sich diametral

 

Andre Künste mögen heut florieren

Nicht jeder Vers hat sich glatt angeschmiegelt

Fühl auch du dich gern geeulenspiegelt

Man kann einander ewig reflektieren

 

Sags in zwei Quartinen und Terzetten

Jeder Inhalt faßt sich in Sonetten.

 

 

X.

 

Schmäh mich weiter, dreister, lauter, länger

Dein Urteil zu Sonetten klingt pauschal

Die Moden ändern sich jedes Quartal

Weltverächter oder Weltempfänger?

 

Der Terror strenger Form scheint dir total

Jedes Bild siehst du banalisieren

Deutung und Gedachtes divergieren...

Doch Form ist unerwartet liberal

 

Leicht läßt sich die Revolte proklamieren

Ich versprach mir keinen Ruhm und nie Geld

Man hat sich schwer durchs Regelwerk vehikelt

Laß mich nach meinem Muster komponieren.

 

Sag: aus welchen Zwängen sollte ich mich retten?

Es stehn für sich: Billionen von Sonetten.

 

 

 

 

 

 

 

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